RAUMZEIT & DISSOLUTION
Ben Goossens Morphing Machinery
Modelle
Oxford Languages definiert Modelle als „Form, Beschaffenheit, Maßverhältnisse veranschaulichende Ausführung eines vorhandenen oder noch zu schaffenden Gegenstandes in bestimmtem (besonders verkleinerndem) Maßstab“. In der Kunst dienen Modelle traditionellerweise als Vorbild für eine zu realisierende Arbeit oder als „technisches Instrument“ um etwa Abgüsse zu produzieren. In den Neunzehnhundertachtzigerjahren betrachten Künstler wie die Düsseldorfer Modellbauer, die den öffentlichen Raum definieren und interpretieren, Modelle nicht länger als eine funktionale Vorstufe zur Kunst, Modelle werden hier zum eigenständigen Kunstobjekt.
Bei Goossens nun sind Modelle Ausgangspunkt und Thema. Er fotografiert und filmt sie, er präsentiert sie als hinterleuchtete Fotografien, als Installation im Raum, als Filmprojektion in Bewegung. Dabei wird der reale Raum immer wieder von der Dynamik der projizierten Bilder überlagert und erfasst. Grundsätzlich besteht die Neigung, im Statischen ein konstitutives Merkmal von Räumen zu sehen, bei Goossens wird der Raum verzeitlicht. Selbst dann, wenn unmittelbar keine Bewegung wahrnehmbar ist, wenn etwa Räume als Raumruine von Pilzkulturen und Flechten überzogen wurden, ist der sichtbare Zustand die Momentaufnahme eines unabgeschlossenen Prozesses. Goossens forciert die Verzeitlichung der Räume: Sie implodieren, weißer Dampf dringt ein und füllt den Raum als schwarze Quellwolke, Wände verflüssigen sich und ihre Oberflächen werden zu bewegten Spiegeln. Eine kosmologische Dimension kommt ins Spiel, wenn der Raum im Bild zum Weltraum wird, wenn in sich kreisende Spiralnebel einen optischen Sog erzeugen und sich aus wolkigen Nebeln Myriaden von Sternpunkten herauskristallisieren.
Betrachtet man Goossens Räume mit Sprüngen in Böden, Decken, Wänden und seine von Flechten und farbigen Pilzen überwucherten Architekturen, drängt sich ein historischer Vergleich auf mit dem im 17. Jahrhundert einsetzenden und bis ins 19. Jahrhundert reichenden Hang zu künstlichen Ruinenarchitekturen sei es als Bild oder als neu errichtetes Bauwerk. Ein naheliegendes Beispiel – Goossens hat in München studiert – ist die Magdalenen Klause im Nymphenburger Park, eine bewohnbare, als künstliche Ruine gebaute „Eremitage“. Die einstige Ruinenfaszination basiert auf der Vanitas, der als Einsicht in die Vergänglichkeit alles „Irdischen“, aber auch auf der Erinnerung an das verlorene und – als Utopie – wieder zu gewinnende Arkadien. Gemalte Ruinen im Blick schreibt Diderot: Ich wandle zwischen zwei Ewigkeiten. Wohin ich auch blicke, überall weisen mich die Gegenstände, die mich umgeben, auf das Ende aller Dinge hin, und so finde ich mich mit dem Ende ab, das mich erwartet.“
Der vor der „soziologischen und technologischen Wende“ artikulierte Vanitas-Fatalismus blendet die von Menschen zu verantwortenden und damit vermeidbaren Zerstörungen aus. In Goossens´ düsteren, mitunter bunkerartigen Räumen hingegen wird, zumal vor der Folie der gegenwärtigen Kriegs- und Ökologiedesaster, menschliche Gewaltausübung assoziativ ahnbar und, wenn pflanzenartige Strukturen in den Bildern der Morphing Machinery wuchern, scheint es, als ob sich die „verletzte“ Natur – gibt es d i e Natur? – ihr „Terrain“ zurückholt.
Morphing Machinery
Ein insbesondere im Surrealismus eingesetztes und von Max Ernst favorisiertes „bildgebendes“ Verfahren ist die Frottage: das Oberflächenrelief eines Gegenstands wird durch Abreiben auf ein Papier übertragen, ein Verfahren, das automatistische Züge trägt, auch wenn es in Handarbeit praktiziert wird. Goossens´ Morphing Machinery forciert das Automatistische und ersetzt Handarbeit durch den Einsatz einer eigens konstruierten Apparatur. Über Goossens Polystyrolmodelle wird ein Transparentpapier gespannt und anschließend mit Farbe besprüht. So dass die Polystyrolkörper im Papier, anders als etwa der energetische Lichtabdruck der Fotografie, einen materiellen Abdruck hinterlassen. Dadurch wirft das Papier Falten, die wie die Falten einer menschlichen Hand in die „Papierhaut“ eingeschrieben sind, Falten, die ein Raumrelief formen, die auf wuchernden Blattgebilden zu Pflanzenadern werden, Falten, die Spuren in einer imaginären Landschaft erzeugen und sie konturieren, Falten, die die Bildoberfläche strukturieren und alles, nicht zuletzt die Abdrücke der Raumkörper, überwuchern und zurückdrängen.
Die Abdrücke erzeugen optische Gebilde, die sich durchaus unterschiedlich lesen lassen. Durch die Addition unzähliger Einzelteile, die wie in einer Schaltung verbunden sind, entsteht etwa eine perspektivisch ausgerichtete, gleichsam schwebende Architektur. Die Perspektive produziert hier einen in die Raumtiefe weisenden dynamischen Sog, wobei sich die scheinbare Bewegung aber auch umgekehrt lesen lässt, so als ob der Raum nun auf die BetrachterInnen zukommt. Auf einem anderen Bild formen die Abdrücke einen an einen Monolithen erinnernden, im Raum schwebenden technoiden Körper. Mitunter lassen die perspektivisch arrangierten, einen architektonischen Raum bildenden Einzelteile an Raumschiffe aus Sciencefiction- Filmen denken.
An Science-Fiction-Filme kann auch der metallische Eindruck erinnern, den die eingefärbten Oberflächen der Transparenzpapiere vermitteln, ein Farbton, der das zerreißbare Papier optisch in sein sozusagen materielles Gegenteil verkehrt. Das Metallische dominiert die Bilder und wirkt, als ob es als materielle Grundsubstanz eine zukünftige Welt formt, auch wenn Goossens, zumal in jüngeren Bildern, Farbe ins Spiel sprayt. In Parenthese: Es gibt eine Gattung von Science-Fiction-Filmen, die mit ihrer Vorliebe für Eisen ein historisches Material in die Zukunft übertragen und damit eine Art retrospektiver Zukunft entwerfen, wobei Goossens, fern von Narrationen, das Morphologische ins Zentrum seiner Kunst rückt.
Die Verbindung zwischen dem Vergangenen und einer sich neu konstituierenden Welt prägt die Morphing-Machinery-Serie. Im morphologischen Changieren erscheint die Vergangenheit im Licht einer technoid entfesselten Zukunft. Wo beginnt die Dystopie? Wo endet die Utopie? Die Fragen bleiben offen.
Dr. Heinz Schütz
CV Ben Goossens
1982 Geboren in München
2007 Studium der Bildhauerei bei Prof. Stephan Huber, (ADBK) München
2014 Diplom
Stipendien / Preise / Förderungen
2014 Projektstipendium der Erwin und Gisela von Steiner Stiftung, München
2015 Ankauf der Arbeit Anlage 003 durch die Bayerische Staatsgemäldesammlung, München
2016 Kunstpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, München
Debütantenförderung (Katalogförderung) des BBK, München
Stipendium für Bildende Kunst der Stadt München
2020-21 Arbeitsstipendium der Konrad- Adenauer- Stiftung Berlin
2022 Projektförderung Neustart Kultur des BBK Berlin
Neustart Kultur-Stipendium Stiftung Kunstfonds Bonn
2023 Neustart Plus-Stipendium Stiftung Kunstfonds Bonn
2024 Artist Residency Art Bellwald
Ausstellungsbeteiligungen / Einzelausstellungen ( ab 2014 )
2025 morphing machinery Galerie arToxin, München
Löcher im Licht Taubenturm, Diessen a. Ammersee
2023 shelter – Transformationen Cohaus, Kloster Schlehdorf
2022 drifting Artothek, München
2021 Traumata – Der Körper vergisst nicht DG Galerie, München
Supernature Galerie der Künstler, München
Eckkonfekt Neuer Kunstverein Gießen
2020 Kunst Hält Wache Alte Wache, Landsberg am Lech
2019 Kunst Geht Baden Altes Warmbad, Greifenberg
Im Toten Winkel Kunstblock Balve, München
5 Jahre arToxin Galerie arToxin, München
2018 Zimmer Frei Hotel Mariandel, München
Transition Galerie arToxin, München
Der durchmessene Raum Frappant, Hamburg
Schlafes Bruder Rathaus, Saarbrücken
Klaus von Gaffron gegen den Rest der Welt Kunstblock Balve, München
Das letzte Bild – Ansichten vom Tod in der Zeitgenössischen Kunst Stadtgalerie, Saarbrücken
2017 Stand by Me Galerie der Künstler, München
Fade Halle 50 Städtisches Atelierhaus am Domagkpark, München
White Cube Not Treibgutlager, München
2016 Debutanten Galerie der Künstler, München
Das schwarze Loch Taubenturm, Diessen a. Ammersee
H5021K Halle 50 Städtisches Atelierhaus am Domagkpark, München
Kunstpreis Bayerische Akademie der Schönen Künste, München
2015 Future Trance Kunstarkaden, München
Tacker Galerie der Künstler, München
Tage des elektronischen Bewegtbildes, Garagen, Offspace Galerie arToxin, München
Random thoughts of a daily light Weisses Haus Wien, Österreich
Aller Anfang ist leer Galerie arToxin, München
2014 Lucid Liquid Internationale Kurzflmtage Winterthur, Schweiz
Lucid Liquid Fünf Seen Filmfest, Starnberg
Mon ami l´image VKunst Frankfurt, Galerie Mühlfeld+Stroher, Frankfurt
Inzwischen Galerie Foe, München
Ben Goossens wurde 1982 in München geboren. Er studierte bei Professor Stephan Huber an der Akademie der Bildenden Künste in München Bildhauerei und schloss 2014 mit Diplom ab.
Im gleichen Jahr erhielt er eine Projektförderung der Erwin und Gisela von Steiner Stiftung.
2016 den Kunstpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, die Debütantenförderung des BBK ( Berufsverband Bildender Künstler ) und das Stipendium für Bildende Kunst der Stadt München.
2021: Arbeitsstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin
2022: Projektförderung Neustart Kultur des BBK Berlin;
Neustart Kultur-Stipendium der Stiftung Kunstfonds Bonn
2023: Neustart Plus-Stipendium der Stiftung Kunstfonds Bonn